Eine Hymne des «Postpetrolismus»

Christina Hemauer und Roman Keller fragen nach Zusammenhängen von Kunst- und Energiegeschichte

frauenfeld. Der Shed im Eisenwerk kooperiert erstmals mit dem Kunstmuseum Thurgau durch flankierende Parallelprojekte unter dem Titel: «L’Energia siamo noi» (Die Energie sind wir).

von Dorothee Kaufmann

Revolutionär gibt sich das Künstlerpaar Christina Hemauer (1973) und Roman Keller (1969), die jüngst mit den Swiss Art Award ausgezeichnet wurden. Bei der Projektvorstellung tönte «Die Internationale» durch die leere Shedhalle, in der das eigens gefertigte Podium steht, auf dem die geplanten Gespräche und Chorproben stattfinden sollen. Die Arbeit des Künstlerduos kreiste schon seit längerem um Fragen der Energie als erschöpflichem Rohstoff. 2006 haben Hemauer und Keller in Zürich mit einem künstlerisch-theatralisch inszenierten Manifest den «Postpetrolismus» als neue Kunstepoche ausgerufen.

Open-Source-Projekt

Im Neuen Shed werden die Künstler zwei Projekte parallel zu der aktuellen Ausstellung «Moralische Fantasien» (Tagblatt vom 20. Juni) des Kunstmuseums Thurgau verwirklichen. Das eine besteht in der Realisierung eines neuen Hymnus in Zusammenarbeit mit Mathias Vetter, der sogenannten «Postpetrolistischen Internationalen», das andere besteht in einem Open-Source-Projekt, das um die Frage kreist, inwiefern sich Kultur- und Kunstgeschichte parallel zur Energiegeschichte entwickeln.

Die Verbindung beider Bereiche ist nicht offensichtlich, auch wenn das Manifest den geneigten Leser manches glauben machen möchte. Tenor und Zielrichtung des Projektes versetzen den Beobachter vielmehr zurück in die Zeit um 1910, als die deutsche Fassung der Internationalen entstand und man noch unbeleckt von der Geschichte moralische und politische Phantasien innerhalb der Kunst entwickeln konnte.

Wenn nun eine «Postpetrolistische Internationale» mit freiwilligen Chören und Sängern im Shed einstudiert werden soll und eine Prozession vom Shed zur Kartause geplant ist, so kommt einem schon der Gedanke an Opium für das Volk und an Manipulation der Massen in den Sinn.

Das zweite Projekt schwingt sich zu einem geistigen Höhenflug auf, indem eine These des Künstlerduos wissenschaftlich untermauert werden soll: Energiegeschichte und Kultur- bzw. Kunstgeschichte sollen eine parallele Lesart ergeben, indem eine enzyklopädische Abhandlung zur Energiegeschichte der Menschheit mit Ereignissen der Kulturgeschichte konfrontiert wird. Hierfür sind Fachleute aufgerufen, sich zu äussern.

Unglücklich kulturkritisch

Eine Kooperation des Museums mit dem Shed als neue Epoche im Umgang mit Kunst ist sicherlich zu begrüssen. Die Zielrichtung der Projekte ist jedoch unglücklich kulturkritisch gewollt. Kunst, Wissenschaft und Moral derart zu vermengen, führt weder zu einer tragfähigen Erkenntnis noch zu einer Revolution.

Aber mit den richtigen Fragen fängt jede Revolution an – meinte doch schon Beuys: «Die Revolution sind wir», als er Kunst als soziale Plastik begriff und den Kapitalismus kritisierte.

St. Galler Tagblatt, KULTUR, Freitag, 27. Juni 2008